Sonntag, 19. Juni 2011

Odin must be a Climber





Einmal sagte ein gestandener sächsischer Kletterer zu mir folgenden Satz: „Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die schlimmer ist als feuchter norwegischer Urwald.“ Er kam gerade von der erfolgsarmen Suche nach dem Einstieg für eine Mehrseillängenroute am Langfjell. Triefend nass, Laub und kleine Äste schmückten sein graues Haar und mit beachtlich finsterer Miene hielt er inne und fuhr fort: „Noch mehr feuchter norwegischer Urwald!“

Einige Jahre später habe ich diesen durchaus wahrheitshaltigen Satz immer noch im Ohr. Doch in diesem Moment ist mir alles egal. Ich sehe nur noch Granit. Granit in allen Farben und mit den tollsten Strukturen versehen. Alles wovon ich je geträumt habe verkörperte diese eine Wand…
Wir waren wie auch in den Jahren zuvor nach Süd-Norwegen gefahren, um einer Art Sucht nachzugehen. Felsen suchen, Routen einbohren und diese dann klettern. Die beschrieben Tätigkeit übt einen starken Reiz auf mich aus, denn alleine der Gedanke DIE Wand zu finden lässt meinen Puls schlagartig in die Höhe schnellen.
Die kleine Halbinsel Øne am See Fyresvatten ist seit 15 Jahren unser Ausgangspunkt. Idyllisch gelegen mit grobkörnigen Sandstrand und ruhiger Atmosphäre hat dieses Eiland rein klettersportlich einiges zu bieten. Denn umsäumt ist der Fyresvatten mit Felspotenzial das einfach für jeden was zu bieten hat. Beinahe 700 Meter hohe Granitriesen, pralle und Steile Sportkletterwände zu deren Füßen Unmengen an Blöcken mit 1A Linien zu finden sind, prägen das Landschaftsbild.


Back to the beginnings

Schon in den 80gern leistete das Urgestein Götz Wiechmann allerhand Pionierarbeit im Gebiet. Dabei erschlossen Götz und sein Team die ersten Traumlinien im goldgelben Granit von unten und stießen so bis in den Oberen neunten Grad vor. Dabei hinterließen die wilden nur dort einen Bohrhaken, wo es beim besten Willen keine Möglichkeit gab, selber etwa im Fels zu versenken. Als eines von vielen Beispielen ist die Route „Karies Moralis“ UIAA 7 am Langfjell zu nennen (700 Meter Kletterlänge). Kommentar in Götz`s erster Kletterführerauflage Go North:“ Nichts für Kletterer der Marke Leichtfuß und Konsument alla Frankenjura.“ Auch der leider verunglückte Kletterpionier Tod Skinner stattete dem Gebiet Ende der 80ger einen Besuch ab und hinterließ eine Erstbegehung im saubersten Stil.
Mehr und mehr rückte das Sportklettern in das Zentrum des Erschließerauges. So wurden in diesem Zug die Drugwall, The Wall und die Sunshinecliffs (auch als DWS-Spot tauglich) erschlossen. Später kamen durch uns der A…der Welt und die Gelbe Wand hinzu. Auch wenn man bei den letzteren genannten Spots die Stopper getrost im Auto lassen kann, so sei angemerkt, dass vor allem bei den von Götz Wiechmann und den norwegischen Kletterern erschlossenen Touren ein Satz Stopper nicht fehlen sollten.


Suchen und finden

Vor einigen Jahren fanden wir unser Glück an haushohen Blöcken. Sie boten alle Neigungen und hatten schöne feine Strukturen. Von unserem Campingplatz waren die Blöcke in 20 Minuten Schlendergang gut zu erreichen. Es entstanden eine Vielzahl von Bouldern bis Fb 8a und auch einige Kletterrouten bis zum 9. Grad konnten den Trümmerstücken entlockt werden. Apropos Trümmerstücke: Diese im grünen Tal liegenden Blöcke, an denen wir jeden Abend unseren Spaß hatten, waren nicht mehr als Bruchstücke aus einer monströsen am Hang darüber liegenden überhängenden Wand. Wie im Wahn rennen wir den steilen Hang hinauf, kämpfen uns durch nassen und nässeren norwegischen Urwald, bis wir mit Tannennadeln und kleinen Ästen im Haar den Wandfuß erblicken. Eine Wand tut sich vor uns auf, welche gut mit den Ausmaßen des Schleierwasserfalls zu vergleiche wäre. 60 Meter hoch und bestimmt 700 Meter breit. Viele der Sektoren weisen eine unglaubliche Steilheit auf. Die Qualität der Linien ist kaum mit Worten zu beschreiben. Der Zentralsektor hängt mit Sicherheit zwanzig Meter über, wobei einige Wandbereiche Links und Rechts des Zentralsektors immer wieder weniger steile, ja bis teils senkrecht bis liegende Wandpartien bieten. Doch eine Linie links des Riesenüberhangs ist mir noch genau im Gedächtnis: Eine schwarz-weiß gefleckte Kante welche weit überhängend gut 40 Meter gen Himmel wächst. Der absolute Wahnsinn!


Die Arena entsteht

Einige Jahre nach dieser Begegnung begannen wir damit, dieser Wahnsinns Wand, die wir „Arena“ nannten, die ersten für uns kletterbaren Routen zu entlocken. Nicht nur, dass die Linien von 1A Güte waren, auch die Gesteinsqualität kann als absolute Delikatesse bezeichnet werden. Teils schwarzgrauer Granit mit Rissen, Leisten und Henkeln, welche durch steile Wandbereiche führen und teils goldgelber Granit mit genialen Strukturen wie Löcher und Knuppel boten sich uns. Als erstes nahmen wir einen Riss in Angriff, welcher uns bei jedem Besuch an der Wand ins Auge stach und geschmeidig am rechten Wandteil der Zentralen Arena 30 Meter empor schwung. Also Frinds und Stopper an den Gurt und ab die Post. „Ganz oben setzen wir dann einen Umlenker.“ Doch schneller als gedacht, mussten wir feststellen, dass selbst mit unseren größten Cams in diesem leicht überhängenden Riss nichts zu hohlen war. Er war zu breit. Auf den 30 Metern setzten wir drei Bohrhaken und einen Umlenker im Vorstieg, wobei ich mich mit Hessi abwechselte. Sozusagen, den Riss hochklappern, die rechte Schulter im Riss verkeilen, Füße weit hoch (denn da war nur Reibung), die Bohrmaschine am Seil mit der linken Hand und den Zähnen hochziehen, Loch rein, Haken rein, runter und ausruhen. Saui und Erich sicherten und unterstützen uns von unten. Am Abend waren wir Körperlich und psychisch am Ende. Abgesehen von den Strapazen hatten wir nun unsere erste Tour an der Arena mit dem Namen „Vier Toreros“ die wir mit 7- bewerteten. Am Abend würde dieser zähe Start gebührend mit selbst mitgebrachtem Bier begossen. Unter dem Motto „ein Tropfen auf dem Heißen Stein“ zogen wir die Tage darauf immer wieder in die Arena ein, um wenigstens die realisierbaren Sachen zu bohren und zu klettern. So bekam der Zentralteil noch eine Wandkletterei im achten Grad namens „Jormundgandr“ ab, die durchaus noch um eine zweite Seillänge (sicher sackschwer) zu ergänzen ist. Danach verlagerten wir unsere Aktivitäten auf den ganz linken Sektor der Arena. Dieser Wandbereich zeichnete sich durch ein Dach im Einstiegsbereich und gute Wandkletterei mit Ausdauercharakter aus. Hier erschlossen wir noch einmal sechs Touren(vor allem im achten und neunten Grad) mit bis zu 25 Metern Länge. Wenn man nun die harten Fakten betrachtet: 8 Touren von mit Sicherheit über Hundert möglichen gebohrt und erstbegangen, die besten und schwersten Linien wurden von uns noch gar nicht berührt. Dann ist das wirklich nur als kleiner Anfang zu bezeichnen. Also los Leute! Rann an den Speck. Eure Bohrmaschinen schreien nach solch einem Fels. Die Wand gehört allen! …und das Beste ist, dass der Zentralsektor und einige andere Sektoren komplett regensicher sind.


Die Schwarze Wand

Damit nicht genug, so birgt die Umgebung um Killegrend noch vieles mehr an vertikalem Potenzial in sich. Fast gegenüber der Arena und nur zehn Gehminuten vom Camping Øne entfernt wartet die Schwarze Wand auf hungrige Erschließer. Hier existieren bereits 8 Anstiege vom 3. bis zum 10. Grad. Die Wand ist eher senkrecht und bauchig, manchmal auch liegend und verfügt über eine stattliche Höhe von 80 Metern. Bester Granit! Gerade in den schwereren Touren zeichnet sich die Kletterei durch technisch anspruchsvolle Bewegungen an slopigen Griffen und kristallenen Leisten aus. Das momentane Highlight des Gebiets stellt die Route „Soljanka from Hell“10-/10 dar, welche ich im Rahmen eines Kurztrips in die Telemark 2008 erstbegehen konnte. Gute Haut ist hier die Grundvoraussetzung, denn die Kristalle der winzigen Steller an der Crux bohren sich tief ins Fleisch.


Øne und dein Potenzial

Rings um die „Augeninsel“ nahe Killegrend reihen sich wie an der Perlenkette lohnende Kletter- und Erschließungsziele aneinander. Wenn ich da an die Wand denke, auf welche man jeden Abend blickt wenn man am Zelt sein Bierchen aufmacht, die noch völlig unberührt ihren Dornröschenschlaf schlummert und steil, hoch und mächtig nur darauf wartet wach geküsst zu werden. Oder der 300 Meter hohe Jorunlandsnuten direkt links daneben. Durch dessen zentrale Hauptwand verläuft bislang nur eine von uns 1998 erschlossene Tour im achten Grad. Wer es also etwas höher mag ist hier gut aufgehoben. Auch am Flaten hat sich einiges Getan. Götz und seine Mannen haben hier eine Vielzahl von gut gesicherten Mehrseillängentouren bis 7+ hinterlassen.
Letztendlich bleibt mir nur zu sagen, dass jene die ohne Bohrmaschine und Co. anreisen mit Sicherheit im Fyresvattengebiet Beschäftigung für Jahre vorfinden. Für die, die auf Neulandsuche gehen wollen sein zwei Dinge gesagt: 1. Eure Lebenszeit wird nicht ausreichen um das Potenzial auszuschöpfen. 2. Ihr werdet ausflippen ob der Schönheit der Linien und der Qualität des griffigen Granits.

Wenn ihr weitere Infos zum Gebiet wollt besorgt euch den Kletterführer Telemark von Götz Wiechmann Kamin Verlag oder wendet euch an mich: hockeclimbing@web.de